Genetische Studien an Romnja und Roma. Eine kritische Bestandsaufnahme

Genetische Studien an Romnja und Roma. Eine kritische Bestandsaufnahme zu ihrer Entstehung und Nutzung

Vortrag und Diskussion mit
Prof. Veronika Lipphardt (Freiburg) und Dr. Mihai Surdu (Heidelberg)

Online
Moderation: Anja Reuss (Berlin, Zentralrat Deutscher Sinti und Roma)

Genetische Untersuchungen an Roma haben eine über 100 Jahre alte Forschungsgeschichte. Anhand von ca. 440 Studien, d.h. populations-, medizin- und forensisch-genetischen Untersuchungen an Romnja und Roma, zeigen wir, dass viele dieser Publikationen sowohl methodische und konzeptionelle Maßstäbe der Repräsentativität als auch ethische Standards vernachlässigen. Dies gilt auch für DNA-Studien, die seit 1990 erschienen sind. Auf der epistemischen Ebene hinterfragen wir die Darstellung von Roma als “genetisches Isolat” und die ihr zugrundeliegenden Konzepte, wobei wir insbesondere die Strategien der Datenerhebungen in den Blick nehmen. Auf der ethischen Ebene zeigen wir, dass vor allem forensische Studien und Datensätze selten ethische Anforderungen erfüllen. Außerdem verdeutlichen wir, dass das außergewöhnlich starke Interesse der forensischen Genetik an Roma dazu beiträgt, sie als „suspect population“ zu stigmatisieren. Wir stellen einen allgemeinen Mangel an Transparenz und ethischer Sensibilität für DNA-Daten von Roma in genetischen Studien und vor allem in forensisch-genetischen For-schungskontexten fest. Für mehrere Studien werden Ko-Autor*innen aufgeführt, die mit Ermittlungsbehörden oder dem Militär in Verbindung stehen. Für einige Daten wurde die Zustimmung der ProbandInnen möglicherweise für andere als forensische Zwecke eingeholt. Auch medizin- und populationsgenetische Studien über Roma erfüllen nicht immer die ethischen Anforderungen. In einigen Fällen verbergen Praktiken der gemeinsamen Datennutzung und eine intransparente Berichterstattung möglicherweise das, was wir “Datenwäsche” nennen.
Wir diskutieren unsere Ergebnisse vor dem Hintergrund der optimistischen Prognose Roger Brubakers, dass die “neue Genetik” helfen könnte, essentialistische Vorstellungen von Gruppen zu überwinden. Darüber hinaus zeigen wir auf, wie diese Studien auf vielen Ebenen zur Rassifizierung von Romnja und Roma beitragen.
Das Gespräch wird mit der Software Zoom durchgeführt und findet zweisprachig auf Deutsch und Englisch statt. Für die Teilnahme melden Sie sich bitte per E-Mail unter berlin@sintiundroma.de an. Zusätzlich wird die Veranstaltung auf der Facebook- Seite des Bildungsforums gegen Antiziganismus gestreamt.

Die Referent_innen:

Veronika Lipphardt ist Professorin für Wissenschafts- und Technikforschung am University College Freiburg. Sie ist ausgebildete Biologin und Historikerin und hat in Wissenschaftsgeschichte promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte und Gegenwart der Populationsgenetik und forensischen Genetik. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Disziplinen hat sie die Forschungsinitiative „WIE-DNA“ gegründet und mit interdisziplinären Ko-AutorInnenteams Forschungsbeiträge in Zeitschriften aus den Lebens- sowie den Sozial- und Geisteswissenschaften veröffentlicht.
Dr. Mihai Surdu ist Soziologe und derzeit Inhaber des Romani-Rose-Fellowships. Seine aktuelle Forschung konzentriert sich auf Genetik und Gesellschaft. Zuvor hat er sich kritisch mit der Politik der Wissensproduktion über Roma auseinandergesetzt, wobei er sich auf Verfahren der Datenerhebung, Prozesse der Stigmatisierung und Minorisierung sowie soziale Folgen der ethnischen Kategorisierung in verschiedenen Bereichen konzentrierte. Seine Forschung wurde von verschiedenen Organisationen unterstützt: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Freiburg Institute of Advanced Studies (FRIAS), das Institute of Advanced Study der Central European University, das Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte und die Open Society Foundations.

Weitere Informationen / further information:
www.antiziganismusforschung.de
www.gegen-antiziganismus.de

Datum

16 Apr 2021
Vorbei!

Uhrzeit

18:00 - 19:30

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